Präventionskonzept für salafistisch-radikalisierte Jugendliche

28.09.2015

Präventionskonzept für salafistisch-radikalisierte Jugendliche in Wiesbaden!

Die religiöse Radikalisierung von Jugendlichen ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft und auch für die Jugendlichen selbst. Die Radikalisierung steht der erfolgreichen Integration in unserem Land entgegen und spaltet die Gesellschaft. Allein die Berichte über das Wirken von Salafisten – Hessen ist laut Verfassungsschutz eine der salafistischen Hochburgen bundesweit – erzeugen in der öffentlichen Meinung ein Misstrauen gegenüber Muslimen und solchen, von denen vermutet wird, dass sie Muslime sein könnten.

Auch die Landeshauptstadt Wiesbaden ist betroffen: In den Schlagzeilen war jüngst ein Fünfzehnjähriger aus dem Wiesbadener Stadtteil Kastel. Mit einem Freund hatte er in Syrien kämpfen wollen. Weil beide zum Beten in die Kostheimer AliMasjid-Moschee gingen, ist auch die Moschee in den Verdacht geraten, Salafismus zu fördern – was diese zu einer klaren Distanzierung veranlasste.

Nicht minder beunruhigend sind Berichte über radikalisierte Jugendliche, die nicht unmittelbar als Kämpfer in den Krisenregionen auftreten, sondern als Schläfer in der hiesigen Zivilgesellschaft auch an der Vorbereitung oder späteren Durchführung terroristischer Anschläge beteiligt sein sollen.

Vorfälle und Berichte wie diese fördern Misstrauen und Vorbehalte zwischen den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt. Wir hingegen setzen uns für eine freie und offene Gesellschaft ein, die die Werte des Grundgesetzes lebt, Toleranz als grundlegendes Prinzip unseres Miteinanders achtet und Vielfalt z.B. in Form von kulturellen Hintergründen, Religionen und Weltanschauungen willkommen heißt.

Vor diesem Hintergrund fordern die Liberalen Frauen Region Wiesbaden ein Präventionskonzept betr. salafistisch radikalisierte Jugendliche, das u.a. folgende Bereiche berücksichtigt:

Bildung:
Fachkräfte aus der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit brauchen Hintergrundinformationen und pädagogische Handlungsanleitungen zum Umgang mit Ideologien wie dem Salafismus. Sie sind entsprechend zu stärken und zu befähigen, damit sie in der Bildungsarbeit die Demokratiekompetenz und Toleranzfähigkeit junger Menschen nachhaltig stärken und extremistischen und menschenfeindlichen Einstellungen effektiv entgegenwirken können.
Das grundgesetzkonforme Angebot an bekenntnisorientiertem islamischem Religionsunterricht in Hessen ist weiter auszubauen und auch für die Sekundarstufe I einzuführen. Der Unterricht bietet Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, fundiertes Wissen über ihre Religion zu erwerben, sich konstruktiv und kritisch mit ihrer Religion auseinanderzusetzen und in einem geschützten Raum Fragen zur Diskussion zu stellen. Der Unterricht ist unverzichtbar, um jungen Muslimen substantielles Wissen zu vermitteln, das sie vor radikalen religiösen Ideologien schützt.

Einbezug von Moscheevereinen:
Moscheen (und auch Jugendhilfe-Einrichtungen) sollten sich nicht lediglich von radikalisierten Jugendlichen distanzieren, denn dadurch geraten diese möglicherweise in Isolation und werden noch anfälliger für extremistisches Gedankengut. Wichtig ist vielmehr, den Kontakt zu den Betreffenden zu halten, im Gespräch zu bleiben und die radikalen Ideologien auf theologischer Ebene zu widerlegen. Hier sind vor allem muslimische Angebote in deutscher Sprache und mehr Aktivität von Gemeinden im Internet sowie generell Angebote mit Bezug auf die besondere Lebenswelt von Jugendlichen erfolgversprechend.

Aufnahmegesellschaft:
Deutschland ist ein weltoffenes Land, dessen Grundwerte auf Menschwürde und der freien persönlichen Entfaltung in gegenseitigem Respekt vor den Mitmenschen basieren. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lehnt nach Überzeugung der Liberalen Diskriminierung strikt ab.
Dennoch ziehen sich laut Experten wie Claudia Dantschke subjektive Diskriminierungserfahrungen wie ein roter Faden durch die Lebensläufe vieler junger Salafisten. Sie fühlen sich von der Gesellschaft, in der sie leben, nicht akzeptiert. Immer wieder machen sie die Erfahrung, als anders und fremd, jedoch nicht als Deutsche wahrgenommen zu werden, sei es, weil sie ein Kopftuch tragen, keinen Alkohol trinken wollen, eine andere Haut- oder Haarfarbe haben, einen nicht deutsch klingenden Namen tragen oder Defizite in der deutschen Sprache aufweisen.
Deshalb ist es von elementarer Bedeutung, dass Bürgerinnen und Bürger Menschen mit Migrationshintergrund als gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft begreifen und ihnen entsprechend begegnen. Dies schließt Diskriminierung aus. Insbesondere persönliche Kontakte sind dazu geeignet, eventuelle Vorbehalte aufzulösen. Kontakt und Begegnung sind daher wo immer möglich zu organisieren, beispielsweise mit entsprechenden Veranstaltungen. So kann das Denken in den Schubladen von „Ihr“ und „Wir“ aufgelöst und der Umgang mit Vielfalt zu einer Selbstverständlichkeit werden.
Dies erfordert zivilgesellschaftlich Anstrengungen von allen Seiten. Vorbehalte und unbegründete Ängste gegenüber muslimischen Mitbürgern sind ebenso abzubauen, wie die Erwartungshaltung Strenggläubiger, sich erst dann wirklich angenommen zu fühlen, wenn die eigenen Vorstellungen nicht nur akzeptiert sondern auch politisch und somit gesamtgesellschaftlich priorisiert werden.

Prävention/Jugendarbeit:
Die Aufgabe von Präventions- und Jugendarbeit ist es, radikalisierten oder von Radikalisierung bedrohten Jugendlichen Wege außerhalb ihrer Ideologie aufzuzeigen. Diese Arbeit sollte sich an den Bedürfnissen und an der Lebenswelt der Heranwachsenden orientieren. Hierzu braucht es muslimische Geistliche und Pädagogen, die professionelle Arbeit leisten, mit den Lebensumständen z.B. von muslimischen Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern vertraut sind und ggf. Jugend- und Sozialämter in die Zusammenarbeit einbeziehen. Ggf. können gemeinsam mit der Polizei Konflikte mit dem Gesetz angegangen werden. Eine Berufsberatung kann Wege aus der Arbeitslosigkeit aufzeigen, das Nachholen eines Schul- oder Berufsabschlusses einen Neuanfang ermöglichen.
Ausschlaggebend für den Erfolg ist es u.a., den in Radikalisierung abgleitenden Jugendlichen kontinuierlich das Gefühl zu geben, dass sie als Menschen angenommen werden, auch wenn ihre radikale Einstellung nicht zu akzeptieren ist. In der Arbeit mit ihnen sind klare und allgemeingültige Werte und deren Vorteile auch für sie selbst zu vermitteln, insbesondere die Werte des Grundgesetzes. Des Weiteren gehört eine aktive Einbeziehung der Eltern zu den Erfolgsfaktoren.
Das Programm des Bundes „Demokratie leben!“ zielt auf Projekte, die die Demokratie fördern und sich für Extremismusprävention engagieren, sowohl auf kommunaler Ebene als auch mit regionalem und überregionalem Schwerpunkt.
Im Rahmen dieses Programms führt Kubi Verein für Bildung und Kultur e.V. in Frankfurt ein Projekt durch, das Moscheegemeinden in die Lage versetzen soll, ihre Jugendarbeit aufzubauen und zu professionalisieren. U.a. werden Jugendliche aus den Gemeinden qualifiziert durch Schulungen, etwa in Bezug auf Argumentationssicherheit bei der Frage nach der Vereinbarkeit von Islam und Grundgesetz. Ihre Aufgabe besteht darin, als Ansprechpartner für Jugendliche in ihren Gemeinden zu fungieren. Darüber hinaus werden im Rahmen des Projekts Bildungsangebote und Events für Jugendliche organisiert. Es ist zu prüfen, inwieweit auch in Wiesbaden diese Arbeit im Rahmen dieses Bundesprogramm umgesetzt werden kann.

Muslimische Seelsorge in Haftanstalten:
Haftanstalten bieten Salafisten ein besonders geeignetes Umfeld, um Häftlinge zu radikalisieren, insbesondere solche, die sich nach der Haft ohne Perspektive sehen. Gerade junge Straftäter sind nach Meinung von Experten hochgradig gefährdet. Die muslimische Seelsorge in Hessen ist daher als religiöse Präventionsarbeit auszubauen und als Regelangebot zu etablieren.